Photon Icon

Arno Beck | Tim Berresheim | Florian Kuhlmann

Unter zeitgenössischen digitalen Bedingungen ist derzeit völlig unklar, was mit dem Begriff „Fotografie“ (sowohl im künstlerischen, als auch im allgemeinen Gebrauch) eigentlich gemeint ist, bzw. ob und wie man dieses Feld sinnvoll definieren soll.  Diese Frage stellt sich vehement im Hinblick auf die neuen digitalen Möglichkeiten und Anwendungen. Die Ausstellung Photon | Icon bringt nun in einer Art offenen Versuchsanordnung Arbeiten von KünstlerInnen zusammen, die mit Digitaler Fotografie, CGI, Photogrammetrie, Scanografie, Augmented Reality, Computergrafik, Motion-Capture, 3D/4D-Software, 3D-Scanning, etc. und jeglichen erdenklichen Mischformen dieser Werkzeuge/Tools arbeiten. Die o.g. neuen technologischen Anwendungen sind größtenteils Visualisierungsverfahren, die auf „fotografischen“ Prinzipien basieren oder diese simulieren. D.h. den gezeigten Arbeiten sind in jeweils unterschiedlich starken Ausprägungen „fotografische Aspekte“ eingeschrieben, wobei die traditionellen fotografischen Sehmodelle in den jeweiligen Anwendungen teils übernommen, teils weiterentwickelt, verändert, gehackt, geglitcht, simuliert oder vollständig verlassen werden.
Als Kontrapunkt werden außerdem Arbeiten gezeigt, die nicht direkt mit den neuen Werkzeugen erstellt worden sind, diese aber auf verschiedene Weise thematisieren. Ein Hauptaugenmerk der Ausstellung liegt dabei auf „neuen Bildern“, Bild-Findungen und -Erfindungen, „noch nicht Gesehenem“ und dem nach vorn gedachten generativen Potential der digitalen  Arbeitsweisen (und  weniger auf der Abbildung bestehender Sachverhalte, dem Rückgriff auf bestehendes Bildmaterial und Appropriation, auf retrospektiven fotohistorischen Bezügen oder Referenzen, etc.). So haben sich in den letzten Jahren im Umgang mit den Bereichen des Digitalen, Virtuellen, Immateriellen und tendenziell nicht Fassbaren völlig neue, eigenständige Bildwelten und Arbeitsweisen entwickelt.
Die Ausstellung versucht den jüngsten Entwicklungen nachzugehen, wobei die gezeigten Werke eine eindeutige Lesart oder mediale Zuschreibung in positiver Art und Weise unterlaufen. Dies schließt eine Vereinnahmung unter dem Begriff „Fotografie“ mit ein, und anders als diese sind die neuen Arbeitsweisen nicht auf Sichtbarkeit und physikalische Existenz des Abgebildeten angewiesen. Vielmehr spielt in den gezeigten Arbeiten das Verhältnis von Präsenz und Absenz; realer Existenz zu Repräsentation und Simulation, „Realität“ zu Fiktion eine entscheidende Rolle. (Existieren die abgebildeten Bildgegenstände tatsächlich oder handelt es sich um Fiktionen, Simulationen, Renderings? Folgen die dargestellten Räume fotografischen, vertraut-zentralperspektivischen Gesetzen oder sind diese Räume errechnet, digital überformt? Spielen „traditionell- fotografische“ Aspekte wie Realismus, Indexikalität, Abbildtreue, Repräsentation, Dokument- und Beweischarakter unter digitalen Bedingungen eine Rolle? etc.).
Dem Konzept „Bild“ kommt hier eine besondere Bedeutung zu, die meisten der gezeigten Arbeiten durchlaufen zunächst mehrere Transformationen,
d.h. sowohl materielle als auch immaterielle Stadien. Am Ende der  jeweiligen Produktionsprozesse steht bei allen beteiligten KünstlerInnen aber eine Entscheidung für ein physikalisch existentes „Bildobjekt“ mit Körper, Masse und Ausdehnung  im realen (Ausstellungs-) Raum als finale Erscheinungsform der Arbeit. Das „Bild“ wird als substanzielle, faktische und materiale Erscheinung thematisiert, dem im Digitalen virulenten Thema der Auflösung und Immersion wird mit einem Gegenkonzept, einer eindeutigen Entscheidung für den realen Raum (Erfahrungsraum) begegnet. In dem Dreiecksverhältnis Realität – Virtualität – Digitalität wird die Frage gestellt, inwieweit das „Fotografische“ als normative Kraft nicht nur für die neuen Arbeitsweisen und digitalen Werkzeuge, sondern in einem größeren Zusammenhang auch für unsere gesamte Wahrnehmung, für unser Wirklichkeitsverständnis unter digitalen Bedingungen fungiert. Photon | Icon versucht, der Überlagerung, Verschmelzung und potenziellen Auflösung der medialen Kategorien, und den sich daraus ergebenden neuen Möglichkeiten vor dem Hintergrund des Digitalen nachzugehen. Wobei die „Fotografie“ und ihre Verständnismodelle in Teilen weitergeführt, oder, auch das steht zur Disposition, vollständig verlassen werden können, um auf  längere Sicht neue, digital basierte Verständnismodelle zu konstituieren.

Michael Reisch, 2-2019

Under contemporary digital conditions, it is currently completely unclear what the term „photography“ (in artistic as well as general usage) really means, or how this field should be meaningfully defined. In Photon | Icon, this question is vehemently raised with regard to the new digital possibilities and applications. In a kind of open experimental dialogue, the exhibition brings together work by artists involved in digital photography, CGI, photogrammetry, scanography, augmented reality, computer graphics, motion capture, 3D / 4D software, 3D scanning, etc. and any conceivable hybrid of these tools. Significantly, most of these new technological applications adopt visualization methods based on „photographic“ principles. This means that the works shown are each inscribed, in varying degrees, with „photographic aspects”, whereby the traditional photographic seeing-models are partly adopted, partly developed, changed, hacked, glitched, simulated or completely abandoned. As a counterpoint to the above, works are also shown that have not been created directly with the new tools, but that refer to these principles in various ways. A main focus of the exhibition is on „new images“, discoveries and inventions – the „not yet seen“ and the future-orientated generative potential of digital working methods – and less on the depiction of existing facts, the use of existing imagery and appropriation or of retrospective photo-historical references, etc.
In the last few years completely new, independent image worlds and ways of working have developed that address the realm of the digital, the virtual, the tendentially intangible. This exhibition tries to follow the latest developments, with the works shown undermining any clear reading or media attribution. This is a positive development, which implies an appropriation of these new tools under the term „photography“ because, unlike photography, the new ways of working do not depend on the visibility and physical existence of the depicted. Rather, in the works shown, the relationship between presence and absence; real existence to representation and simulation, „reality“ to fiction plays a crucial role. (Are the pictorial objects actually present, or are they fictions, simulations, renderings? Do the presented spaces follow photographic, familiar central-perspective-laws or are these spaces calculated, digitally transformed? Do „traditional-photographic“ characteristics such as realism, indexicality, representational or documentary and evidential aspects play a role under current digital conditions? Etc.). The concept „image“ is of particular importance here. Most of the works shown initially undergo several transformations, i.e. both material and immaterial stages. At the end of the respective production processes, however, a decision for a physically existent „image-object“ with body, mass and volume in the real (exhibition) space, as the final manifestation of the work stands with all involved artists. Thus the „image“ is addressed as a substantial, factual and material phenomenon; the digitally virulent theme of dissolution and immersion is confronted with a counter-concept, a clear decision for the real, experiential, space. In the triangle of reality – virtuality – digitality, the question is asked to what extent does the “photographic“ function as a normative force, not only for the new ways of working and the digital tools, but in a wider context, i.e. For our entire perception; for our understanding of reality under digital conditions. Photon | Icon tries to investigate the superimposition, merging and potential dissolution of media categories, and the resulting new possibilities in the context of the digital realm. The question is whether „photography“ and its models of understanding can continue in parts, or (and this is possible) whether we can depart from these models completely, to, in the longer term constitute new, digitally based models of understanding and seeing.

Thank you to: Galerie Judith Andreae, Bonn, Bartha Contemporary, London, Galerie Gisela Clement, Bonn; Barbara Gross Galerie, München, Kunst und Denker, Düsseldorf, Produzentengalerie Hamburg, Scheublein Fine Art, Zürich, Sonnabend Gallery, New York, Galerie Felix Ringel, Düsseldorf.
Special thanks to: Gisela Clement, Meike Denker.

Text: Michael Reisch
© Michael Reisch, Falko Alexander Galerie and the participating artists, 2019

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